23. Dezember 2020

Ökonomen des Fachbereichs simulieren Pandemie-Entwicklung über den Jahreswechsel Ökonomen des Fachbereichs simulieren Pandemie-Entwicklung über den Jahreswechsel

Das individuelle Verhalten ist entscheidend für das weitere Infektionsgeschehen.

Das individuelle Verhalten ist entscheidend für das weitere Infektionsgeschehen. Um die Effekte verschiedener Szenarien vorhersagen zu können, nutzen Janos Gabler, Tobias Raabe, Klara Röhrl und Hans-Martin von Gaudecker ein neu entwickeltes Simulationsmodell. Es unterscheidet sich von anderen Modellen dadurch, dass es Kontakte zwischen Menschen in unterschiedlichen Bereichen des Lebens und deren jeweilige Infektiosität in den Mittelpunkt stellt. Dadurch lassen sich auch starke Veränderungen im Verhalten gut abbilden, wie sie rund um Weihnachten zu erwarten sind, wenn es zu wesentlich weniger Begegnungen im Arbeitsumfeld kommt und mehr Familienfeiern stattfinden.

Pandemie Simulation
Pandemie Simulation © iStock
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Für die Wirksamkeit des harten Lockdowns ist die Zeit um Weihnachten Chance und Risiko zugleich. Einerseits sind viele Betriebe, Schulen und Kindertagesstätten geschlossen. Dadurch entfällt eine Vielzahl von Alltagskontakten, die teils sogar während des Lockdowns im Frühjahr weiterhin stattfinden konnten. Andererseits dürfte eine Reihe privater Kontakte hinzukommen: Die Menschen reisen durch die Republik, tätigen Einkäufe für die Festtage, feiern Weihnachten mit der Familie und treffen sich danach mit Freunden.

Allen Appellen zum Trotz sind mehr Kontakte als während des Frühjahrslockdowns zu erwarten, welche zudem meist über viele Stunden in Innenräumen stattfinden dürften und somit ein hohes Infektionspotenzial aufweisen.

Um die Effekte verschiedener Szenarien vorhersagen zu können, nutzen Janos Gabler, Tobias Raabe, Klara Röhrl und Hans-Martin von Gaudecker ein neu entwickeltes Simulationsmodell. Es unterscheidet sich von anderen Modellen dadurch, dass es Kontakte zwischen Menschen in unterschiedlichen Bereichen des Lebens und deren jeweilige Infektiosität in den Mittelpunkt stellt. Dadurch lassen sich auch starke Veränderungen im Verhalten gut abbilden, wie sie rund um Weihnachten zu erwarten sind, wenn es zu wesentlich weniger Begegnungen im Arbeitsumfeld kommt und mehr Familienfeiern stattfinden.

Das Modell unterscheidet zwischen entdeckten und unentdeckten Infektionen auf Basis von Schätzungen zur Dunkelziffer und wurde anhand medizinischer Erkenntnisse und Kontaktzahlen aus früheren Erhebungen so kalibriert, dass eine gute Übereinstimmung mit den deutschen Infektions- und Sterberaten erzielt wird.

Entwicklung des Infektionsgeschehens über den Jahreswechsel

Für die Vorhersage der Pandemie-Entwicklung über Weihnachten und den Jahreswechsel haben die Forscher verschiedene Szenarien mit unterschiedlich starken Kontaktreduktionen simuliert. Im optimistischen Szenario mit wenigen privaten Kontakten im Anschluss an die Feiertage führt der harte Lockdown zunächst zu einem leichten Rückgang der Neuinfektionen bevor die Weihnachtsvorbereitungen und -zusammenkünfte dazu führen, dass die Neuinfektionen in die Höhe schnellen. Im pessimistischen Szenario ist der Rückgang deutlich geringer und die Steigerung über Weihnachten und danach deutlich ausgeprägter. 

Bei den gemeldeten Fallzahlen treten die Unterschiede aufgrund der Verzögerung bis zum Auftreten von Symptomen sowie mutmaßlich geringerer Testkapazitäten erst weit nach Weihnachten zutage. Der bereits von den Wochenenden bekannte Effekt dürfte sich an Weihnachten noch verstärken. Wie trügerisch die gemeldeten Zahlen sein können, zeigt sich beim pessimistischen Szenario. Auch hier sinken die offiziellen Werte zunächst und schießen erst nach dem Jahreswechsel steil nach oben. Die tatsächliche Inzidenz pendelt sich jedoch schon Ende Dezember bei dem rund doppelten Wert der Vorweihnachtszeit ein.

Nach Einschätzung der Forscher lassen diese Zahlen wenig Hoffnung auf ein schnelles Ende des Lockdowns. Entscheidend sei jedoch, inwieweit die Menschen – auch angesichts begrenzter Möglichkeiten von Arztpraxen, Testzentren und Gesundheitsämtern – das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen, wenn eine Infektion möglich scheint, und andere über den eigenen Infektionsverdacht informieren.

Private Kontaktnachverfolgung ist entscheidend

Die Kontakte mit Familie und Freunden sind zwar intensiver als andere und dadurch mit einer höheren Infektionswahrscheinlichkeit behaftet. Andererseits lassen sich die Kontakte leichter nachverfolgen und schnell benachrichtigen. Die Forscher simulieren hier wiederum verschiedene Szenarien.

Im Vergleich zum Ausgangsszenario tritt im Szenario mit 90% Kontaktreduktion in der ersten Januarwoche eine um 25% geringere Inzidenz auf. Dies sind fast 230.000 Neuinfektionen weniger in der ersten Januarwoche. Selbst bei 50% Kontaktreduktion ist die Inzidenz in der ersten Januarwoche bereits um 16% oder 140.000 Fälle geringer. 

Zur frühzeitigen Unterbrechung von Infektionsketten müssen Kontakte umgehend benachrichtigt werden, da Infektiosität schon gegeben ist, bevor Symptome auftreten. Schon bei Inzidenzen im zweistelligen Bereich wird dies auf offiziellen Wegen schwierig, bei den derzeitigen Infektionsraten praktisch unmöglich. Den Forschern zufolge werde der weitere Verlauf der Pandemie daher entscheidend davon abhängen, ob die privaten Netzwerke funktionieren, alle Kontakte im Familien- und Freundeskreis direkt über Symptome oder positive Tests in Kenntnis gesetzt werden und die Betroffenen ihre Kontakte reduzieren.

Zu den Studien:

https://newsroom.iza.org/de/archive/research/individuelles-verhalten-entscheidend-fuer-das-weitere-infektionsgeschehen/

 

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